Der Adel 1490
Der Adel der böhmischen Länder stellte nie eine Einheit dar, gliederte sich in verwandte, doch verschiedene Adelsgemeinden. Im Unterschied zum Reichsadel existierte in Böhmen und Mähren nur eine Einteilung in Hochadel und Niederer Adel. Schlesien umfasste mehrere Fürstentümer. Als der böhmische König Vladislav II. 1490 auch den ungarischen Königstitel annahm, kam es – mithilfe des Adels, der die Ausrichtung des Königs nach Ungarn mittrug – zur Wiedervereinigung Mährens, Schlesiens und der Lausitzen mit Böhmen.
Der bedeutendste Stand der böhmischen Länder war der Adel, dessen Gehorsamspflicht sich seit 1479 am Landesprinzip ausrichtete, d.h. der gesamte böhmische Adel unterstützte König Vladislav II. in Prag, der mährische, schlesische und lausitzische König Matthias in Buda/Ofen. Der mährische Adel stand somit Ungarn näher, von wo aus er auch Einflüsse der italienischen Renaissance aufnahm (es entstanden die Residenzen in Tovačov/Tobitschau und Mährisch Moravská Třebová/Trübau). Dank des Adels setzte sich die tschechische Sprache auch in den mährischen Landesinstitutionen durch, ab 1480 wurden die Landtafeln auf Tschechisch verfasst, in Böhmen war dies erst ab 1500 der Fall.
Ende des 15. Jh. kam es zu langwierigen Kämpfen zwischen Adel und Städten, die versuchten, ihr wachsendes wirtschaftliches Potential auch politisch durchzusetzen. Scharmützeln gab es auf lokaler Ebene, aber auch Landesebene im Kampf um die Vladislavsche Landesordnung von 1500, wo die Forderungen der Städte zum Großteil nicht anerkannt wurden. An der Entstehung dieses Rechtstextes beteiligten sich nur beide Adelsstände – der Hochadel und Niedere Adel.
Zu den bedeutendsten Adelsfamilien gehörten seit Generationen in Böhmen die Herren von Rosenberg (páni z Rožmberka), von Neuhaus (z Hradce), von Schwanberg (ze Švamberka), von Rosental (z Rožmitálu), in Mähren die Herren von Pernstein (z Pernštejna – die auch in Ostböhmen große Besitzungen hatten) und die Herren von Boskowitz (z Boskovic). Die Söhne von Georg von Podiebrad (Jiří z Poděbrad) griffen mit ihren Fürstentiteln aus Glatz und Schlesien in das Geschehen in Böhmen und Mähren deutlich ein.
Antonín Kalous
Der Adel 1515
Für die böhmischen Länder ist die Zeit um 1515 vor allem durch die Abwesenheit des Herrschers bestimmt. Vladislav II. besuchte diese und Prag während seiner Herrschaft in Buda/Ofen nur selten, was seine Entscheidungen stärker von ungarischen Adeligen und Prälaten beeinflusste. Die böhmischen und mährischen Adeligen konnten zwar am ungarischen Hof mitwirken, waren jedoch durch ihre Stammsitze und Ländereien an ihr Land gebunden. Aus diesem Grund sank der Einfluss des böhmischen Adels am Hof, während sein Einfluss in den Landesinstitutionen und in der Regierung des Landes deutlich stärker wurde. Im Jahr 1502 teilten die Herren (d.h. der Hochadel) beispielsweise die Landesämter untereinander auf, ohne dass der Herrscher in die Wahl eingreifen konnte. Erst nach ihrer Absprache baten sie ihn um Zustimmung. So benahm sich der Hochadel in einem Land, in dem der Herrscher nicht anwesend war. Der Adel handelte sehr autoritativ und sogar in einem venezianischen Bericht aus dem Jahr 1512 (Marino Sanudo) wird erwähnt, dass im Land nicht der König, sondern der königliche Rat herrsche. Tatsache ist, dass die Kompetenzen des königlichen Rats nicht deutlich abgegrenzt wurden und so gewann er bei Abwesenheit des Königs an Macht.
Für Böhmen sind in dieser Zeit die anhaltenden Kämpfe zwischen Adel und Städten typisch. Dieser Streit setzte sich nach dem Inkrafttreten der Vladislavschen Landesordnung im Jahr 1500 fort, denn die Städte fühlten sich in der neuen Ordnung übergangen. Einige Phasen des Kampfes endeten mit dem Sieg der Städte. Nachdem der St.-Wenzels-Vertrag (1517) abgeschlossen wurde, durch den die Städte ihre politischen Rechte verteidigen konnten, verloren sie jedoch die Exklusivität einiger ökonomischer Rechte.
Auch in Mähren kam es zu Streitigkeiten, obwohl sie nicht so heftig ausfielen. Leitfigur war hier Wilhelm II. von Pernstein, der die politische Kultur des Landes sowie eine tolerante Stellung in den Konfessionsfragen der sich ständig bekämpfenden Katholiken und Utraquisten repräsentierte. Der Anfang des 16. Jh. stellt die markanteste Epoche der Entwicklung der Ständemonarchie in Böhmen dar.
Antonín Kalous
Der Adel 1530
Im Jahr 1526 organisierten die vom Oberstburggraf Zdeniek Lev von Rosental (Zdeněk Lev z Rožmitálu) angeführten böhmischen Stände die Wahl eines neuen Herrschers. Nach schwierigen Verhandlungen und Streitigkeiten zwischen den böhmischen Ständen und den mährischen, schlesischen und Lausitzer Ständen auf der anderen Seite, wurde der Herrscher nur von den böhmischen Ständen gewählt. Die übrigen Repräsentanten des Landes wurden zur Wahl nicht geladen, erkannten sie nicht an und bestätigten die Erbansprüche von Anna Jagiello, der Gattin von Ferdinand.
Im Vergleich zu Böhmen hielten in Mähren die Mitglieder des Herrenstandes, d.h. des Hochadels den größeren Besitz. In Böhmen waren es die Mitglieder des Ritterstandes, allerdings veränderte sich dieses Verhältnis im Laufe des 16. Jahrhunderts. Anfangs kam es aus Sicht der politischen Rechte des Adels zu keinen wesentlichen Veränderungen: der Ständestaat funktionierte, ähnlich wie in der Zeit der Jagiellonen. Nach und nach bemühte sich jedoch Ferdinand I. um Veränderungen, die seine Macht stärken sollten. Es gelang ihm Zdeniek Lev von Rosental politisch zu beseitigen und er kämpfte gegen die starken Schlicks.
Im kirchlichen Bereich blieb der Zustand vorerst unverändert, es gab unter dem Adel sowohl Utraquisten als auch Katholiken. Im wirtschaftlichen Bereich war der Anfang des 16. Jh. die Zeit des Aufschwungs der eigenen Unternehmungen des Adels; so wurde der Adel zum Konkurrenten der Städte. Die Lage in Böhmen und Mähren war diesbezüglich identisch. Ebenso verhielt es sich mit dem Einfluss der neuen Kultur aus Italien und Westeuropa. Adelsresidenzen wurden immer öfter in Renaissanceschlösser umgebaut. Der anfängliche Vorsprung Mährens, das die engeren Kontakte mit Ungarn beeinflusste, gegenüber Böhmen ging verloren, vor allem das Prager Umfeld wurde zur Inspiration für bauliche Veränderungen von Adelssitzen.
Trotz der Reformversuche von Ferdinand, die zur Machtbeschränkung des Adels auf die Regierung und die Landesverwaltung führen sollten, wuchs nach wie vor ihre Position im Rahmen der Stände, die sich an der Verwaltung des Landes beteiligten. Die Herren haben nach dem antihabsburgischen Aufstand 1547 nicht so hohe politische und ökonomische Verluste erlitten wie die Städte, deren Position radikal verfiel.
Antonín Kalous