Wien um 1515
Wien hatte Anfang des 16. Jahrhunderts gerade die Fremdherrschaft des ungarischen Königs Matthias Corvinus (1485–1490) hinter sich gebracht und blickte auf ein recht unruhiges Jahrhundert zurück, das in einigen Bereichen die Position einer der größten Städte des deutschen Reiches schwächte. Handelspolitisch machten sich etwa die verstärkte Invasion der Osmanen und der damit unterbundene Handel mit Ungarn bemerkbar; auch die Entdeckung Amerikas mit ihren wirtschaftlichen Konsequenzen blieb nicht ohne Folgen. Als die Doppelhochzeit am 22. Juli 1515 im Wiener Stephansdom gefeiert wurde, nahm die Kaiserstadt jedoch durch neue Impulse seit der Jahrhundertwende eine geistige Führungsrolle ein.
Dies war den vorangegangenen intensiven Bemühungen des Erzhumanisten Konrad Celtis (in Wien 1497–1508) zu verdanken, der mit Unterstützung Kaiser Maximilians I. den Humanismus endgültig in der Wiener Gelehrtengesellschaft etablierte. Zudem erwarb sich Wien damals durch die Gründung der Hofkapelle (1498) unter dem Singmeister und später Wiener Bischof Georg von Slatkonia (aus Laibach gebürtig) (1513–1522) in der Musik einen einzigartigen Ruf (für das Jahr 1509 sind 49 Sänger und Sängerknaben bezeugt). Beide Komponenten, die Wiener Gelehrten und die Musik, spielen auch im Begleitprogramm der Doppelhochzeit von 1515 eine wichtige Rolle, wie der detaillierte Bericht eines der führenden Wiener Gelehrten der Zeit, des Universitätsprofessors, Doktors der Medizin und kaiserlichen Gesandten Iohannes Cuspinian (1473–1529) ausführt.
Deutsche und vor allem italienische Gelehrte unterstützten an der Wiener Universität, die 1365 von Rudolf IV. gestiftet worden war, den Geist des Humanismus und trugen auch zu einer beachtlichen Publikationstätigkeit bei. Drei Wiener Drucker deckten zu dieser Zeit den großen Bedarf an Universitätsdrucken (neben anderen Aufträgen) ab: Iohannes Winterburger, Hieronymus Vietor und Iohannes Singrenius.
Mit Cuspinian hatte Wien nach Celtis auch einen weithin wirksamen und führenden Humanisten des deutschsprachigen Raums, der wie Celtis über ein sehr gutes Netzwerk verfügte. Er war es auch, der als kaiserliche Gesandter die Vorbereitungen zur Doppelhochzeit mit dem jagiellonischen Hof in Buda auszuverhandeln hatte.
Christian Gastgeber